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 5.1 Übernahme von Fotografien

5.1 Übernahme von Fotografien

Der Umfang unseres fotografischen Erbes stellt die Gedächtnisinstitutionen vor Probleme, deren Lösung grundlegende Überlegungen erfordert. Die Einführung der digitalen Fotografie und die damit einhergehende exponentielle Zunahme der Aufnahmen machen solche Überlegungen dringlicher denn je. Zu den neuen technischen und kulturellen Herausforderungen, die zu den Herausforderungen der bewährten Konservierungspraxis hinzukommen, gesellt sich oft das Problem der begrenzten Ressourcen. Dies macht die Definition angemessener Bewertungskriterien erforderlich, die sowohl für die Auswahl der Bestände, die von den Gedächtnisinstitutionen aufgenommen werden, als auch, in nicht geringerem Masse, für die Selektion der Dokumente innerhalb der übernommenen Bestände gilt. (s. a. Kapitel Bewertung und Selektion von fotografischen Beständen)

Über die Bewertung wird auf breiter Basis diskutiert. Allerdings kann man feststellen, dass Archive und Museen unterschiedlich an dieses Thema herangehen.

Aus der Sicht der Archive wird das Dokument selbst nach der Verbindung bewertet, in der es mit den anderen Dokumenten desselben Bestands steht. Anders ausgedrückt: Die Beziehungen zwischen den einzelnen Einheiten eines Bestands sind von gleicher Bedeutung wie die Einheiten selbst, da nicht der inhärente (historische und künstlerische) Wert einer jeden Einheit im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern die Gesamtheit ihrer Bezüge untereinander. Die Archivbestände sind also keine Sammlung besonderer Objekte, sondern ein organisches Beziehungsgeflecht, das dem besseren Verständnis der Bestände dient und dessen historische und kulturelle Bedeutung in hohem Masse bestimmt.

Wenn sich ein Museum bereit erklärt, Archive – also ein Konvolut von Dokumenten, Negativen, Glasplatten, Kontaktbögen, Abzügen, Rechnungen usw. – zu erhalten, stellt sich diese Frage gleichermassen, weil die Kohärenz des Bestandes gewahrt bleiben muss. Darüber hinaus beurteilen Museen die Fotografien nach ästhetischen und historischen Kriterien. Einige Abzüge gelten als Sammlungsstücke, die dann anders konserviert und vermittelt werden. Dennoch müssen, insbesondere mit Hilfe von Datenbanken, alle historischen Spuren festgehalten werden, um ein präzises und gut dokumentiertes Gesamtbild zu erhalten.  

Die Einrichtungen oder Privatpersonen, die einen fotografischen Bestand schenken oder deponieren möchten, müssen also darauf achten, dass folgende Vorgaben eingehalten werden:

  • Vollständigkeit und Einheit des Bestands,

  • Erhaltung der ursprünglichen Klassifizierung,

  • Bewahrung von bestehenden Findmitteln und Dokumentationen, wie Inventaren, Listen, Verzeichnissen, Verträgen usw.

Die Institutionen, die einen fotografischen Bestand entgegennehmen, müssen ihrerseits bei der Übernahme dafür sorgen, dass die Vollständigkeit und Einheit des Bestands gewahrt wird. Eine eventuelle Selektion des Materials kann nach der Analyse der Struktur und des Inhalts der Bestände erfolgen. Dies bedeutet auch:

  • Die gesamte schriftliche Dokumentation (Korrespondenz, Zeitungen, Arbeitsnotizen, Artikel, die von oder über den/die Produzenten der Bestände geschrieben wurden, usw.) muss übernommen werden.

  • Die vorhandene Struktur ist zu erhalten. Eine mögliche Neuordnung muss die ursprüngliche Klassifizierung berücksichtigen. Diese muss klar erkennbar bleiben.

  • Die bestehenden Findmittel und Dokumentationen, wie Inventare, Listen, Verzeichnisse, Verträge usw., müssen übernommen werden. Ausserdem sind folgende Informationen zu sammeln:

    • Auskünfte über den/die Produzenten im Falle von Archivbeständen oder Sammlern bei Sammlungen,

    • Informationen über Ursprung und Geschichte des Bestands, Informationen über die Urheber der im Bestand enthaltenen Dokumente und

    • Daten über die damit verbundenen Rechte (Eigentümer des Bestands, Vermögensrechte, Urheberrechte an den Dokumenten usw.). 

Diese Angaben sind unverzichtbar, wenn man eine Vereinbarung über die Schenkung oder das Depot des betreffenden Bestands verfassen will.

Bei der Übernahme muss die zuständige Institution darauf achten,

  • dass alle Einheiten des Bestands in einem präzisen Inventar aufgeführt sind,

  • dass die Materialität der Fotografien (analog und auch digital) und deren Erhaltungszustand abgeklärt sind.

Das Inventar und die Identifizierung der Materialität und deren Zustand zielen darauf ab,

  • sich einen Überblick über die Probleme, die sich bei der Konservierung des Bestands stellen, und über Art und Umfang der erforderlichen Konservierungsmassnahmen zu verschaffen;

  • alle notwendigen Vorsichtsmassnahmen zu treffen, um Schäden bei Transport und Unterbringung zu vermeiden, und

  • sich ein Bild von notwendigen finanziellen Mitteln zu machen, welche die Übernahme und vor allem die Konservierung und Verwaltung des Bestands mit sich bringen, denn diese können teuer werden.

Der letzte Aspekt erfordert nicht nur eine Abwägung jeder Bestandsübernahme im Vorfeld, er ist auch ein gutes Argument für ein Depot oder eine Schenkung gegenüber einem Kauf. Die Übernahme eines Bestands muss durch eine entsprechende Übereinkunft zwischen den Partnern geregelt werden. Im Folgenden werden die beiden juristischen Wege, die am weitesten verbreitet sind, unter die Lupe genommen: das Depot und die Schenkung.   

Juristische Aspekte

Kulturelle Institutionen sind daran interessiert, ihre Sammlungen insbesondere durch Depot und Schenkungen zu erweitern. In einem solchen Fall muss eine schriftliche Vereinbarung zur Regelung aller Aspekte getroffen werden, die unter anderem das Eigentum, die Erhaltung, die Dauer, die Pflichten und Auflagen betreffen. Diese Fragen müssen in der Vereinbarung klar, das heisst in unmissverständlicher und rechtsgültiger Art und Weise, formuliert sein.

In Bezug auf das Kulturerbe ist die Schenkung mit oder ohne Auflagen die interessanteste Lösung für eine Institution, sowohl im Hinblick auf die Kontinuität als auch auf die Investitionen (zum Beispiel hinsichtlich der Katalogisierung in Datenbanken, Restaurierung, Digitalisierung, Archivräume, Vermittlung, den Eigentumsrechten usw.). Bei Schenkungen gilt das Schweizerische Privatrecht, insbesondere die Artikel 239 bis 252 des Schweizerischen Obligationenrechts. Eine Ausnahme bildet die Überlassung an Erfüllung statt, mit der sich ein Teil der Erbschaftssteuern in Form einer Schenkung von Kunstwerken begleichen lässt. In diesem Fall gilt vorrangig die kantonale Gesetzgebung.

Bei einer Schenkung oder einem Depot aus dem Ausland muss sichergestellt werden, dass die Kulturgütergesetze des Landes des Schenkers oder Depositars den legalen Export der betreffenden Güter erlauben. Im Falle einer Schenkung muss eine endgültige Einfuhr in die Schweiz erfolgen.

Im Schenkungs- oder Depotvertrag müssen bestimmte Entscheidungen explizit dargelegt werden, insbesondere die eventuell damit verbundenen Verpflichtungen und Auflagen. Museen und Archive müssen sich der Bedeutung der Auflagen bewusst sein, zu deren Einhaltung sie sich verpflichten, und sie müssen sich über deren langfristigen Konsequenzen im Klaren sein. Die Auflagen können beispielswiese folgende Aspekte betreffen:

  • Die Vermittlung der Werke/Dokumente (Ausstellungen, Publikationen);

  • die dauerhafte oder regelmässige Ausstellung der Werke/Dokumente, ihre öffentliche Zugänglichkeit, oder, im Falle von Depots, die Frage der Ausleihe an andere Institutionen;

  • die Katalogisierung und Digitalisierung sowie die Eigentumsrechte daran, falls das Depot beendet wird;

  • die Konservierungs- und Restaurierungsauflagen;

  • die Fragen der Wahrung der Rechte und die Nutzung der Einnahmen, die daraus erwachsen;

  • die Fragen hinsichtlich der Eigentums- und Urheberrechte sowie der moralischen Rechte;

  • die Erwähnung der Herkunft des Werks/Dokuments bei Publikationen und Ausstellungen.

Beim Depot müssen sich der Depositar und die aufbewahrende Institution über die Bedingungen im Falle einer Rückgabe der Bestände einigen. Im Allgemeinen beträgt die Mindestdauer des Depots zehn Jahre. Sie wird automatisch verlängert, wenn der Depositar die Rückgabe seiner Werke nicht ein Jahr vor Ablauf der Frist einfordert. Ist nichts Genaueres festgelegt, wird das Depot stillschweigend von Jahr zu Jahr fortgeführt, bis der Vertrag ausläuft.

Je nachdem, welche Investitionen zugesagt wurden, ist es auch üblich, in den Bedingungen für die Rückgabe der Werke einen finanziellen Ausgleich oder eine Teilschenkung zu vereinbaren, wenn die Rückgabe am Ende der Vertragsperiode beantragt wird.

Bei Fotografien ist es wichtig, klar festzulegen, wem die Reproduktionsrechte gehören, und gegebenenfalls die Vorrechte des Beschenkten oder des Depositars vertraglich festzulegen. Nicht minder wichtig ist es für den Beschenkten, die Bilder nach seinem eigenen Belieben und für seine eigenen Zwecke verwenden zu können, und zwar kostenlos und uneingeschränkt.

Die Reproduktionsrechte schlicht und einfach abzutreten, ist sicherlich ein Vorteil für den Beschenkten, der dann die Bilder umfassend veröffentlichen und verbreiten kann.

Die Vereinbarungen umfassen im Allgemeinen mindestens:

  • die Namen und Funktionen der Parteien;

  • eine Präambel, in der die Absichten der Parteien zusammengefasst sind;

  • eine klare Beschreibung der Übereinkunftsaspekte der Schenkung oder des Depots;

  • eine Beschreibung der Werke/Dokumente (mit einer Liste im Anhang, die von den Parteien unterzeichnet wird);

  • den Wert des Depots und die Versicherungssummen;

  • eine Beschreibung der Rechte zur Nutzung, Verwaltung und Verbreitung der Werke/Dokumente;

  • eventuell den Titel des Gesamtbestands, der bei der Verbreitung (Verleihung, Ausstellung, Publikation) verwendet werden soll;

  • die Erwähnung des geistigen Eigentums, der Urheberrechte an den Werken/Dokumenten: Wem gehören sie, wer verwaltet sie und gegebenenfalls die Bedingungen (eventuelle Rückübertragung eines Prozentsatzes an den Einnahmen usw.);

  • die Konservierungsbedingungen nach Museumsstandards, sowie die für die Katalogisierung, Digitalisierung oder Restaurierung angesetzten Fristen;

  • die Bedingungen für eine Kassation;

  • die voraussichtliche Vermittlung und Bereitstellung der Werke (abfragbare Datenbank, Ausleihe, Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit, Internetzugang);

  • Im Falle eines Depots die schriftliche Fixierung der Dauer und der Rückgabebedingungen durch den Depositar;

  • den Gerichtsstand.

 

Die Urheberpersönlichkeitsrechte können nicht abgetreten werden und verbleiben beim Urheber und seiner Familie. Was die Urhebernutzungsrechte anbelangt, so fallen sie siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers an die Öffentlichkeit [s.a. Kapitel Rechte]

Bibliografie und Links

  • Mosimann, Peter; Renold, Marc-André; Raschèr, Andrea (Hg.): Kultur, Kunst, Recht: schweizerisches und internationales Recht, Helbing & Lichtenhahn, Basel 2009.

  • Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911. Online, Stand: 17.2.2022.

  • Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG) vom 20. Juni 2003. Online, Stand: 17.2.2022.

  Letzte Anpassung: Oktober 2017


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