Home / Empfehlungen Memoriav / All / 6.1 Bewertung und Selektion von Fotografien


Zurück zur Hauptübersicht
< vorherige Seitenächste Seite >

6.1 Bewertung und Selektion von Fotografien

6.1 Bewertung und Selektion von Fotografien

Die Bewertung fotografischer Bestände ist ein grundlegender Arbeitsschritt der Erhaltung von Kulturgut. Ist die Bewertung in Archiven vor allem in Bezug auf Schriftakten Alltag, so gibt die Bewertung von Fotografie einiges zu reden. Die Thematik der Bewertung ist in der Fotografie jung und noch wenig diskutiert worden. Die Anerkennung der Fotografie als Kulturgut liess lange auf sich warten und, als ihr dieser Status zugebilligt wurde, galt es als Erstes möglichst viele Fotografien zu retten. Erst mit dem erkämpften Status und der fortschreitenden Anerkennung der Fotografie ist die Frage nach der Bewertung aufgekommen.

Denn Archive, Bibliotheken und Museen besitzen heute oft enorme Fotobestände und Sammlungen. Allein die langfristig generierten hohen Kosten, die Konservierungsmassnahmen mit sich bringen, erfordern ein striktes Auswahlverfahren. Die Bewertung einer Sammlung zum zukunftsträchtigen Bildgedächtnis, das diesen Namen verdient, impliziert eine differenzierte Handhabung. Eine klare, inhaltliche und qualitative Positionierung der Sammlung und ihrer Bestandteile führt unweigerlich über eine rigorose Bewertungsarbeit. Nicht jede Fotografie hat denselben Wert.

In den verschiedenen Institutionen haben sich dabei unterschiedliche Vorgehensweisen der Bewertung ausgebildet, doch es können auch allen gemeinsame Aspekte ausgemacht werden:

Wird einer Institution eine Sammlung, ein Bestand angeboten, so muss sie entscheiden, ob sie diese aufnehmen will oder nicht. Dabei sollte die Sammlungspolitik des Hauses die Entscheidungsbasis für die Aufnahme respektive für die Ablehnung des Bestandes sein. Vielleicht passt er ja anderswo besser hin? Ist der Bestand aufgenommen, so ist er in seiner Gesamtheit hinsichtlich der inhaltlichen und ästhetischen Qualität, der Trägermaterialien und ihrem konservatorischen Zustand sowie der Dichte der Kontextinformationen zu analysieren. Der Bestand muss dabei im Zusammenhang mit seinem Entstehungskontext und seiner Nutzung betrachtet werden. Erst ein guter Überblick über das vorhandene Material erlaubt eine Bewertung und eine anschliessende Selektion der einzelnen Objekte, die bearbeitet und vermittelt werden. Die Selektion dient der Heraushebung von einzelnen Fotografien, während die Bewertung den ganzen Bestand im Blick hat.

Wichtige Selektionskriterien für die Auswahl innerhalb des Bestandes sind:

  1. Der Erhaltungszustand: Sind die Fotografien gefährdet? Gibt es einen Teil des Bestandes, dessen Trägermaterial besonders vordringlich behandelt werden muss?

  2. Die Singularität: Enthält der Bestand selten oder auf besondere Weise fotografierte Themen? Sind ausserordentliche ästhetische Qualitäten vorhanden? Gibt es seltene oder besondere fotografische Techniken oder Präsentationsformen? Wird innerhalb des Bestandes nach einem Autor, Thema, Zeitraum oder einer Technik ausgewählt?

  3. Die Dichte der Kontextinformation: Sind in Teilen des Bestandes besonders gute Kontextualisierungen (Auftragsbücher, Ausstellungsexponate, Reportagetexte etc.) vorhanden? Dokumentieren Teile des Bestandes in besonderer Weise die Produktionsbedingungen oder Verwendungsweise der Fotografien?

  4. Das Trägermaterial: Werden bestimmte Träger (Negativ, Diapositiv, Abzug) bevorzugt behandelt?

  5. Das Vermittlungsprojekt: Wird nur ein Teil des Bestandes für ein Vermittlungsprojekt verwendet?

Führt die Bewertung auch zu Teilkassationen, so müssen zuvor unbedingt die Urheber-und Nutzungsrechte abgeklärt werden [siehe auch Kapitel Rechte], da nur das Material kassiert werden darf, von dem die Institution auch über die Urheber- und Nutzungsrechte verfügt.

Wichtig ist schliesslich, dass die Bewertungs- und Selektionskriterien dokumentiert werden, so dass sie für nachfolgende Forschende klar erkennbar sind. Das bedeutet, dass sowohl die Bewertung als auch die Selektion transparent sein müssen.

Die Literaturliste gibt einen Überblick über die wichtigste Literatur zu dieser Frage.

  • Charbonneau, Normand; Robert, Mario: La gestion des archives photographiques, Québec 2003.

  • Kahlenberg, Friedrich P.; Schmitt, Heiner: Zur archivischen Bewertung von Film- und Fernsehproduktionen. Ein Diskussionsbeitrag, in: Der Archivar, 34, 2 (1981), 233–242.

  • Leary, William H.: The Archival Appraisal of photographs. A RAMP Study with Guidelines, Paris 1985.

  • Mathys, Nora; Leimgruber, Walter; Voellmin, Andrea (Hg.): Über den Wert der Fotografie. Wissenschaftliche Kriterien zur Erhaltung von Fotosammlungen, Baden 2013.

  • Mathys, Nora: Welche Fotografien sind erhaltenswert? Ein Diskussionsbeitrag zur Bewertung von Fotografennachlässen, in: Der Archivar 60 (2007), 34–40. Online, Stand: 19.2.2022

  • Pfeiffer, Michel (2015): Wie können Bildbestände bewertet werden? Auswahl-, Erhaltungs- und Vermittlungsstrategien im Rahmen von Digitalisierungsprojekten. In: Zeithistorische Forschung H2, S. 317–325. Online: Zeithistorische Forschungen, Stand: 19.2.2022

  • Pfeiffer, Michel (2013): Visuelle Überlieferungsbildung – Neue Sammlungs- und Bewertungsperspektiven oder nur alter Wein in neuen Schläuchen? In: Ziehe, Irene; Hägele, Ulrich (Hg.): Fotografie und Film im Archiv. Sammeln, Bewahren, Erforschen. Münster: Waxmann (Visuelle Kultur –Studien und Materialien, 6), S. 129–140.

  • Pütz, Karl Heinz: (Urheber-)Rechtliche Probleme in öffentlich-rechtlichen Sammlungen und Archiven, in: Rundbrief Fotografie, 9, 4 (2002), 37–40.

  • Wiegand, Peter: Das „archivische Foto“. Überlegungen zu seiner Bewertung, in: Rundbrief Fotografie, 11, 1 (2004), 19–24.

  • Zwicker, Josef: Erlaubnis zum Vernichten. Die Kehrseite des Archivierens, in: Arbido, 7-8 (2004), 18–21.

Letzte Anpassung: Oktober 2017


Zurück zur Hauptübersicht
< vorherige Seitenächste Seite >




Suchen


Index



WordPress Themes