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8.1 Restaurierung von Fotografien

8.1 Restaurierung von Fotografien

Konservieren – Restaurieren

«Die Restaurierung stellt das methodische Moment des Erkennens eines Kunstwerks dar, in seiner materiellen Beschaffenheit und in seiner ästhetischen und historischen Bipolarität, in Hinblick auf seine Vermittlung an die Zukunft.» Cesare Brandi

In ihrer täglichen Praxis wenden Konservatoren/Restauratoren eine Interventionsmethode an, die zum Handwerk all jener Disziplinen gehört, die der Konservierung von Kulturgütern dienen. Die Restaurierung von alten und modernen Fotografien verlangt ein künstlerisches Know-how, eine wissenschaftliche Ausbildung und gute Kenntnisse der Geschichte der Fotografie und der Kunst.

Die ursprünglich von den Fotografen selbst vorgenommenen Restaurierungen ihrer Aufnahmen, ist heute das Tätigkeitsfeld eines eigenständigen Berufes geworden. So sind früher übliche Eingriffe, wie zum Beispiel die Behandlung von Daguerreotypien mit einer Lösung aus Thioharnstoff, heute nichtmehr mit den Regeln des Berufsethos zu vereinbaren. Denn diese auf den ersten Blick spektakulären Behandlungen verändern und zerstören die Silberstruktur der Fotografien endgültig, sind also irreversibel, was aus Sicht der heutigen Berufsethik inakzeptabel ist.

Die Methoden und Techniken, die zur Erhaltung der fotografischen Sammlungen eingesetzt werden, beruhen teilweise auf dem Wissen über die Mechanismen, die für den mit der Alterung einhergehenden Qualitätsverlust verantwortlich sind, gründen aber vor allem in unserem Verständnis des Mediums.

Seit 1839 hat sich so eine Geschichte der Betrachtungsweise herausgebildet, die auf den unterschiedlichen Trägerarten gründet, die ihrerseits Teil einer Geschichte der Verfahren sind. Die Fotografie bewegt sich so stets in dieser zweifachen Dimension: spezifisches Darstellungssystem und Objekt/Materie hinsichtlich ihrer besonders fragilen chemischen Stabilität.

Jede Fotografie besteht demnach aus einem Träger (Papier, Leder, Glas, Metall, Polyester usw.) und einem Bindemittel (Stärke, Albumin, Pfeilwurz, Kollodium, Gummi arabicum, Gelatine), das suspendierte Silberhalogenide oder Farbstoffe wie Kohle enthält. Die erste Aufgabe des Konservators/des Restaurators besteht darin, jeden Abzug zu bestimmen [s.a. Kapitel Fotografische Verfahren] Dazu sei angemerkt, dass es gut hundert Verfahren zur Herstellung eines fotografischen Bildes gibt. Die Bestimmung einer Fotografie erfolgt unter reflektiertem oder flach einfallendem Licht mit Hilfe eines Mikroskops und von Reagenzien auf der Basis von Wasser oder Alkohol oder mit einem Röntgenfluoreszenz-Spektrometer.

Jede Fotografie wird entsprechend dokumentiert, die Faktoren für den Qualitätsverlust werden analysiert und dann diskutiert. Nach dem der allgemeine Zustand festgestellt und die Fotografie in ihren historischen Zusammenhang eingeordnet ist, wird eine Diagnose erstellt und es werden Massnahmen vorgeschlagen. Dieser schriftliche Vorschlag, der die Art der Eingriffe und ihre Kosten eindeutig festlegt, wird der Institutionsleitung zur Genehmigung vorgelegt, die in der Folge grünes Licht gibt oder einen Gegenvorschlag verlangt.

Sofern die Eingriffe stattfinden, werden die Ergebnisse anschliessend in einem Restaurierungsprotokoll festgehalten, das der betreffenden Institution übergeben wird. Diese Daten ermöglichen es, die physische Entwicklung des Objekts im Laufe der kommenden Jahre zu verfolgen und –wer weiss –die Frage unter einem anderen Gesichtspunkt und vielleicht mit Hilfe neuer Techniken erneut zu betrachten.

Die wenigen Restaurierungsateliers für fotografische Dokumente, die heute in Europa vorhanden sind, führen vor allem Arbeiten zur Erhaltung durch (Analyse der Träger, Ausfüllen von Lücken, Konsolidieren, Duplizieren, Isolieren), die das Umkehrbarkeitsprinzip berücksichtigen. Die Haltung ist eindeutig: Chemische Restaurierungsarbeiten, deren Ergebnisse nicht voraussehbar sind, werden vermieden. Diese Methoden, die im experimentellen Bereich interessant sind, liefern manchmal spektakuläre Ergebnisse, stellen jedoch das Umkehrbarkeitsprinzip der Massnahmen, ein zentrales Element der «Ethischen Richtlinien für Museen von ICOM» (Ziff.2.24) radikal in Frage.

Es ist also grösste Vorsicht geboten. Die Konservierung/Restaurierung fotografischer Abzüge ist eine neue Disziplin. Ihre Aufgabe besteht darin, erstens den Veränderungen Rechnung zu tragen, zweitens die Faktoren zu analysieren und zu verstehen, die den Qualitätsverlust verursachen, drittens die Abzüge zu stabilisieren und viertens die präventiven Methoden der Erhaltung zu fördern. 

Neue Technologien: von der Restaurierung zur Rekonstruktion

Das Aufkommen neuer Technologien, insbesondere der digitalen Bearbeitung fotografischer Dokumente, brachte es als Konsequenz mit sich, dass die Fotografie als Kulturgut definiert wurde und gleichzeitig eine Rückkehr zur Semantik stattfand, um Sinn und Zweck der Eingriffe der Konservierung/Restaurierung zu erfassen. Wenn das von Cesare Brandi behauptete und gerühmte Gleichgewicht zwischen der ästhetischen und der historischen Bedeutung eines Kulturgutes heute eine Selbstverständlichkeit geworden ist, war dies in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Im letzten Jahrhundert legten einige Restauratorenschulen den Akzent einmal auf den einen, einmal auf den andern Gesichtspunkt. Die Bevorzugung des ästhetischen Wertes eines Kunstwerks blendete die Zeit aus, und übrig blieb einzig die Absicht, eine hypothetische Realität, eine Art Urzustand wiederherzustellen. Die stärkere Gewichtung der historischen Dimension hingegen führte die Zeit wieder ein, die Zeit, die den Moment der Erschaffung festhält, die vergeht und abnutzt und dem Objekt seine Authentizität verleiht, die Zeit, die Spuren der verschiedenen Funktionen hinterlässt, die das Objekt im Laufe der Jahrzehnte oder Jahrhunderte erfüllt hat.

Der Wiener Professor Alois Riegl, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit der Definition von Regeln zum Schutz des Kulturerbes betraut worden war, schlug vor, ein Kulturgut entsprechend den folgenden Werten zu erfassen: ästhetischer Wert, historischer Wert, Alterswert und Gebrauchswert. Anstatt den einen oder andern Wert zu bevorzugen, versucht der Konservator/der Restaurator heute, ein Gleichgewicht zwischen diesen vier Polen zu finden. Dieses Gleichgewicht ändert sich mit dem zu restaurierenden Kulturgut, denn die Gebrauchswerte zum Beispiel eines Möbelstückes, eines Kinos oder eines Buches unterscheiden sich. So könnte eine Fotografie von W. Eugene Smith mit dem Titel «Tomoko und ihre Mutter im Bad» im Jahr 1972 in Minamata (Japan) aufgenommen, die ein Mädchen, das durch Quecksilber vergiftet wurde, abbildet, einen ästhetischen Wert für den Kunst-und Fotografiehistoriker, einen dokumentarischen Wert für den Historiker und einen Gebrauchswert für den Verleger, der das Bild drucken will, darstellen.

Die neuen Technologien befreien den Konservatoren/den Restauratoren von schwierigen Kompromissen und ermöglichen ihm, zu unterschiedlichen Zeiten und auf zwei verschiedenen Ebenen, derjenigen der Konservierung/Restaurierung und derjenigen der Wiederherstellung, einzugreifen. Nehmen wir als Beispiel den Fall einer Sammlung von Glasplattennegativen, von denen mehrere zerbrochen sind. Die Restaurierung von zerbrochenen Glasplatten ist eine komplexe und undankbare Aufgabe, da –ungeachtet der sorgfältigen Arbeit des Restaurators (Zusammensetzung des Puzzles mit geeigneten Klebstoffen, die einen ähnlichen Brechungsindex wie Glas aufweisen) –die Bruchstellen als feine schwarze Spuren auf dem Abzug sichtbar bleiben. Das Auftauchen neuer Technologien erlaubt nun folgendes Vorgehen. Als Erstes werden die Anstrengungen zur vorbeugenden Erhaltung verstärkt, indem diese Fotografien sorgfältig, ohne Reibung und gegenseitige Berührung, in Behälter aus archivtauglichem Material (Karton mit neutralem pH-Wert ohne optische Aufheller, ohne Fungizide usw.) verpackt werden. Sie werden in einem Archivraum aufbewahrt, in dem günstige klimatische Bedingungen (Luftfeuchtigkeit, Temperatur) herrschen.

Nachdem diese Massnahmen getroffen worden sind, kann der Konservator/der Restaurator über die Digitalisierung Eingriffe am Bild des Kunsterzeugnisses vornehmen und es virtuell bearbeiten, ohne die ursprüngliche Fotografie zu gefährden. Im dargestellten Fall erlaubt die Anwendung einer Bildbearbeitungssoftware wie Adobe Photoshop, am Bildschirm die zurückgebliebenen Bruchspuren zu löschen und auf der Basisdieser Rekonstruktion ein neues Negativ anzufertigen.

Es ist wichtig, dass die Konservierungsspezialisten die digitale Verarbeitung von Fotografien als ein ihnen zur Verfügung stehendes Werkzeug ansehen und sie nicht unter dem Vorwand von Schwierigkeiten, sich an eine neue Technik anzupassen, delegieren oder mit dem Argument, dass es sich hier nicht mehr um eine Restaurierung, sondern um eine Rekonstruktion handle, nicht nutzen.

Wer die neuen Technologien den rein technischen und wissenschaftlichen Institutionen überlässt, geht das Risiko ein, den Glauben aufkommen zu lassen, dass die Digitalisierung einer Fotografie am Ende das Kulturgut ersetzen könne.

Der Konservator/der Restaurator ist durch seine Ausbildung im Bereich Ethik, seine umfassende Vorstellung vom fotografischen Objekt, das als Kulturgut verstanden wird, seinen Sinn für das künstlerische Kulturerbe und seine Fähigkeit, die semantische Verschiebung unterscheiden zu können, die zwischen «Restaurieren und Restituieren –Reparieren –Wiederherstellen –Rekonstruieren» stattfindet, zweifellos fähig, mit dem nötigen Einschätzungs- und Beurteilungsvermögen Vorschläge visuell umzusetzen. Zum Beispiel wäre es denkbar, für eine Ausstellung oder ein Buch einen vollständig gelb verfärbten und verblassten Originalabzug auf albumisiertem Papier Seite an Seite mit zwei oder drei Abbildungen von verschiedenen Stufen seiner digitalen Rekonstruktion darzustellen. Diese neue Sicht würde das Originalobjekt bevorzugen und respektieren und trotzdem die Möglichkeit für kritische und gewagte Hypothesen offenhalten, ohne die Sammlungen zu gefährden.

Die Konzepte und Definitionen, die wir entwickelt haben, lassen sich auf die Fotografie des 19. und eines Teils des 20. Jahrhunderts anwenden, das heisst auf Sammlungen, die mit dem Erscheinen der neuen Techniken einen Wendepunkt zwischen Bilder aus Silbersalzen und digitalen Bilder aufzeigen.

Bereits die Farbfotografie wirft andere Fragen auf, etwa durch die Verfärbung bestimmter Träger, für deren Restaurierung die handwerklichen Techniken fehlen und deshalb die Verwendung digitaler Mittel notwendig machen, die fähig sind, zum Beispiel die Farben der Blätter im Frühling und Herbst wiederherzustellen. Bei der Behandlung altersbedingt veränderter Diapositive wird die Tragweite der semantischen Verschiebung im Übergang von der Wiederherstellung zur Rekonstruktion deutlich. Diese induziert, dass das Kulturgut noch eine kleine physische Präsenz bewahrt, aber einen grossen Teil seiner Materie verloren hat.

Heute wird der grössteTeil der Bildaufnahmen direkt auf einem digitalen Träger realisiert. Das digitale Bild hat seine Vermittlungsstellung, in der es als reines Werkzeug galt, verloren und ist zu einem eigenständigen Medium geworden. Die Werte und Anwendungen des digitalen Bildes haben sich tiefgreifend verändert. Der Begriff Originalabzug ist davon ebenso betroffen wie die Definitionen, die wir erarbeitet haben, um die Massnahmen zu beschreiben, die mit der Erhaltung der Inkunablen und allen analogen Fotografien verbunden sind. Ein neues Zeitalter beginnt, und es sind nun die durch Fotografenverarbeiteten und finalisierten digitalen Dateien, die zu Originalen werden.

Brandi, Cesare; Schädler-Saub, Ursula: Theorie der Restaurierung, München 2006.

ICOM: Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, 2010, Online, Stand: 21.2.2022

Letzte Anpassung: Oktober 2017



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