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5.2 Übernahme von Tondokumenten

5.2 Übernahme von Tondokumenten

Dazugehöriges Material

Die audiovisuellen Archive müssen neben den Beständen an Tondokumenten auch das «dazugehörige» oder «Begleitmaterial» umfassen: Dazu zählen alle Dokumente und anderweitig erstellten Beilagen, aus denen der Kontext der Tonaufzeichnung zu entnehmen ist. Dies verleiht den audiovisuellen Archiven die Doppeleigenschaft als Archive und als Museen.

Dabei kann es sich um unterschiedliches Material handeln, darunter die Geräte und technischen Instrumente, die zum Lesen der Tondokumente gebraucht werden (zeitgenössische oder moderne Geräte, Ersatzteile usw.) sowie die gesamte Dokumentation über die Geschichte der Tonträger, der Aufnahmetechnik oder der Plattenproduktion.

Zum tönenden Erbe gehören ausserdem sämtliche Begleitdokumente und Zusatzinformationen (Handschriften, Illustrationen, verschiedenste Zeugenberichte) im Zusammenhang mit allen aufbewahrten Beständen.

Als Kriterium für die Auswahl von Material gilt, dass es wegen des Bezugs zu besonderen Aufzeichnungen oder Persönlichkeiten, wegen des Phänomens der Tonaufzeichnung oder wegen der industriellen, künstlerischen und sozialen Bedeutung für die Welt der Tonaufnahme ausgewählt wurde.

Geräte

Der Erhalt und die Pflege von Originalgeräten, die zum Abspielen der Originalträger nötig sind, sind ein wichtiger Teil des Prozesses der Langzeiterhaltung. Viele Medien sind ohne ihre Abspielgeräte unlesbar und entsprechend als Archivalie wertlos.

Zustandsbestimmung von Tonträgern

Tonträger nutzen sich im Laufe der Zeit unweigerlich ab. Die Abnutzung ist hauptsächlich auf die Luftfeuchtigkeit zurückzuführen. Sichtbare Zeichen der Beschädigung sind Pilze. Es ist wichtig, bei der Untersuchung von Audiobeständen bereits erste Anzeichen von Beschädigungen zu entdecken, die beim Lesen eventuell zum Verlust ganzer Dokumente führen könnten. Bei Zylindern und Direktschnittplatten ist auf den ersten Blick zu erkennen, ob die Oberfläche des Tonträgers zerbrochen, abgelöst oder mit Schimmelpilz bedeckt ist. Bei Magnetbändern dagegen sind die sichtbaren Zeichen einer Beschädigung weniger deutlich. Natürlich fallen Schimmelpilz oder Unregelmässigkeiten beim Rückspulen (potenzielle Hinweise auf ein Problem) auf bestimmten Tonträgern auf, aber für die gravierenden Fälle reicht eine oberflächliche Untersuchung nicht.

Zwei Krankheiten der Magnetbänder

Essig-Syndrom

Dabei handelt es sich um einen chemischen Prozess, der die Hauptkomponente des Magnetbands in Essig (Essigsäure) umwandelt. Das Syndrom ist am Geruch, der bei diesem Prozess entsteht, leicht erkennbar: In den Räumlichkeiten riecht es nach Essig. Die befallenen Tonträger werden brüchig, das Magnetband ist nicht mehr normal dehnbar und reisst beim Abspielen. Seit etwa 2007 ist in vereinzelten Schweizer Tonarchiven das Essigsyndrom nachgewiesen.

Empfehlungen

Wenn möglich sollten Temperatur und/oder Luftfeuchtigkeit gesenkt und die betroffenen Bänder überspielt (digitalisiert) und anschliessend isoliert werden. Falls ein sofortiges Überspielen nicht möglich ist, sollten die Bänder dringend in guten Klimaverhältnissen gelagert werden, um den Degradierungsprozess zu verlangsamen und Zeit zu gewinnen.

Der Säuregehalt der Bänder kann mit Hilfe der mitgelieferten Farbskala einfach bestimmt werden. Im abgebildeten Beispiel beträgt er 1,8. Das bedeutet, dass ein beschleunigter Zersetzungsprozess im Gang ist. Foto: Ruedi Müller

Ist das Isolieren der Bänder in einem separaten Raum nicht möglich, sollten sie unten (in der Nähe des Bodens) und gegen den Ausgang der Luftzirkulation gelagert werden. So wird die Ansteckungsgefahr für weitere Bänder minimiert. Temperatur- und Feuchtigkeit des Archivs sollten mindestens während einem Jahr wiederholt gemessen werden; besser wäre eine permanente Klimakontrolle. Der Säuregehalt der befallenen Bänder sollte regelmässig (mindestens jährlich) mit AD-Streifen gemessen werden. Die AD-Streifen können direkt beim Image Permanence Institute in Rochester bezogen werden (siehe Link unten). Die Resultate sind festzuhalten. Ausserdem sollten die Standorte und die Anzahl der gefährdeten Bänder (häufig Kodak S 2486) nach Möglichkeit erfasst werden.

Sticky Shed Syndrome

Das zweite Phänomen hängt mit der Beschädigung des Bindemittels zusammen: «sticky tape» oder «sticky shed syndrome». Die Luftfeuchtigkeit führt zur Ablösung der Magnetbeschichtung und der Teil, der die Information enthält, setzt sich beim Abspielen auf dem Bandlauf ab. Der Träger wird damit teilweise oder ganz zerstört und die Information geht verloren. Dieses Syndrom ist sehr schwer zu entdecken; es dürfte mit der Fabrikationszeit solcher Tonträger zusammenhängen. Die Produktion solcher Magnetbänder hat in den 70er-Jahren begonnen. Die Rückseite der Bänder war immer mattschwarz.

In einigen Extremfällen darf man die Tonträger nicht mehr abspielen, sondern muss sie spezialisierten Zentren übergeben. Rettungsversuche könnten den Tonträger unwiederbringlich zerstören. Für das Lesen aller unbeschädigten Tonträger sind gut geeichte und regelmässig kontrollierte Geräte erforderlich.

Digitale Formate von Tonaufnahmen

Seit den 90er-Jahren sind in den Tonarchiven zunehmend auch digitale Originale anzutreffen. Immer mehr Quelldateien sind in proprietären Formaten gespeichert und verlustbehaftet, weil die Tonaufnahme in diesen Formaten vorgenommen wurde. Das Problem bei kodierten Formaten besteht darin, dass sie dekodiert werden müssen. Auch besteht das Risiko, dass der Kodierungsalgorithmus bestimmter Dateien nach einigen Jahren nicht mehr auffindbar ist. Da die Lebensdauer der Codecs nicht bekannt ist und allein von der Industrie abhängt, wird nachdrücklich empfohlen, keine Dateien mehr in diesen Formaten zu archivieren. Tonaufnahmen müssen in offenen, aufwärtskompatiblen und linearen Formaten aufbewahrt werden.

Besondere Vorsicht ist bei reduzierten/verlustbehafteten Formaten wie z. B. MP2 oder MP3 geboten. Eine spätere Tonbearbeitung ist in diesen Formaten nicht mehr möglich, ohne dass Artefakte entstehen. Ausserdem werden sie wahrscheinlich verschwinden, sobald ein neues, leistungsfähigeres Format aufkommt. Wenn das Format z. B. für eine Ausstrahlung datenreduziert wurde, muss das «Arbeitsformat» vor der Ausstrahlung wiedergewonnen werden (sofern die Qualität besser ist).

In jedem Fall gilt: Je besser die Qualität des Archivierungsformats (vg. IASA-TC 04), desto besser die künftigen Nutzungsmöglichkeiten. Dabei ist zu bedenken, dass die Qualität einer Datei immer reduziert, aber nur sehr schwer, wenn überhaupt, verbessert werden kann. Zudem sollte man Formate auswählen, die möglichst in jedem Informatikumfeld lesbar sind.

Damit Dateien wieder gefunden werden können, müssen sie beschreibende Daten aufweisen, die sogenannten Metadaten. Zu Audiodokumenten gehören deshalb Informationen, die in einem gleich offenen und entwicklungsfähigen Format wie die beschriebene Datei enthalten sind. Dieses kann in der beschriebenen Datei selbst enthalten sein, wie z. B. das Format BWF.

Datenreduktion

Bei der Datenreduktion handelt es sich um verschiedene Codierverfahren, welche die Menge der aufgezeichneten Daten klein halten. Allen ist gemeinsam, dass sie aufgrund psychoakustischer Modelle Daten weglassen, die nicht hörbare Teile eines Schallereignisses darstellen. Diese sogenannten Kodierungsalgorhythmen (Codecs) werden für eine grosse Menge von meist filebasierten Audio-Formaten verwendet. Datenreduzierte Audiofiles sind im alltäglichen Gebrauch einfach zu handhaben. Für die Archive sind sie aber problematisch: Beim wiederholten Kopieren (Kaskadieren) können Töne entstehen, die nie vorhanden waren, sogenannte Artefakte. Ausserdem kann die künftige Wiedergabe eingeschränkt sein (Quelle: IASA-TC 03, Kapitel 11).

  • IASA TC 03. IASA Technical Committee, The Safeguarding of the Audiovisual Heritage: Ethics, Principles and Preservation Strategy, Co-Edited by Will Prentice and Lars Gaustad. Version 4, 2017 (= Standards, Recommended Practices and Strategies, IASA-TC 03). Online , Stand: 21.2.2022

  • IASA TC 04. IASA Technical Committee, Guidelines on the Production and Preservation of Digital Audio Objects, ed. by Kevin Bradley. Second edition 2009. (= Standards, Recommended Practices and
    Strategies, IASA-TC 04). Online , Stand: 21.2.2022

  • Image Permanence Institute, A-D-Strips bestellen, Online , Stand: 21.2.2022.

Letzte Anpassung: Juli 2021


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