Home / Empfehlungen Memoriav / All / 9.4 Digitalisierung von Videos


Zurück zur Hauptübersicht
< vorherige Seitenächste Seite >

9.4 Digitalisierung von Videos

9.4 Digitalisierung von Videos

Video von der Aufnahme bis zur Archivierung

Abb. 1: Workflow Video. Übersicht der Abläufe von der Aufnahme zum Sicherungspaket für die Archivierung von Video.

Spezifika der Videodigitalisierung

Es existieren spezifische Besonderheiten von Video, die man während der Digitalisierung beachten muss, um ein möglichst originalgetreues Digitalisat zu erzeugen. Das setzt unter anderem eine breite Kenntnis der Aufnahme-, Produktions- und Vorführtechnik voraus.

Wird mit einem Dienstleister zusammengearbeitet, so muss dieser grundsätzlich bereit sein, seine Arbeitsgeräte anzugeben und die Signalpfade und Prozeduren zu erläutern und zu diskutieren und diese sollten Gegenstand eines Werkvertrages sein. Ebenso sollten seine Anlagen besichtigt werden können, die Angaben auf seiner Website genügen dazu in der Regel nicht. Es soll im Folgenden auf einige Besonderheiten aufmerksam gemacht werden, die bei der Videodigitalisierung zu beachten und allenfalls mit einem Dienstleister zu besprechen sind.

Es ist immer besser, bereits während der Digitalisierung jegliche Qualitätsverluste zu vermeiden, weil diese nachträglich mit digitalen Mitteln nur oberflächlich korrigiert werden können. Für die Digitalisierung sind daher Bandgeräte zu wählen, welche das Beste aus der noch vorhandenen Substanz der analogen Träger herausholen. Während der Lebensdauer eines Videoformates sind oft beträchtliche technische Fortschritte gemacht worden, die eine merkliche Verminderung des Bildrauschens sowie Verbesserungen der Auflösung und Bildstabilität gebracht haben, dies auch innerhalb der ursprünglich festgelegten Formatspezifikationen. Daher eignen sich in der Regel Geräte der letzten Generation am besten, die zudem möglichst wenig Betriebsstunden (v. a. Videoköpfe) haben und die regelmässig oder kurz vor der Digitalisierung gewartet wurden. Auch lange nicht verwendete Geräte mit wenig Betriebsstunden können «Standschäden» aufweisen! Grundsätzlich sind professionelle Industriegeräte den Consumergeräten eines Formates vorzuziehen, aber nur innerhalb einer gewissen Zeitspanne der Produktion und nur bei den jüngsten Modellen. Bei den Formaten Video8 / Hi8 sowie der VHS-Familie kommt es vor, dass die besten Consumergeräte der letzten Generation sichtbar bessere Bildqualität liefern als 15 bis 20 Jahre ältere professionelle Geräte derselben Formate, die ein Vielfaches gekostet haben. Ein kritischer visueller Vergleich der Bildqualität vorhandener Geräte kann sich lohnen, wenn das Budget keine Neu- oder Altbeschaffung erlaubt.

Bei sehr alten Bändern ist die Trackingregelung während der gesamten Dauer der Überspielung sehr sorgfältig vorzunehmen, nach Möglichkeit mit Monitoring des FM-Signals ab Videokopf oder wenigstens mittels Messung von dessen Stärke mit entsprechender Anzeige.

Unter der Voraussetzung eines guten Gerätezustands: Quietscht das Band oder ist das Bild massiv unstabil in horizontaler und/oder in vertikaler Richtung oder verrauscht das Bild bis hin zum «Schnee», so weist das Band Alterungsschäden auf und bedarf einer Behandlung vor dem Digitalisieren. Diese kann mehr oder weniger aufwändig werden, aber grundsätzlich gilt, dass die Information noch auf dem Band ist, auch in genügender Stärke, um sie zu lesen, dass aber die physikalischen Eigenschaften der Bandoberfläche ein Abspielen erschweren oder verhindern. Solange sich die Schicht nicht vom Träger löst, ist die Prognose für eine Abspielbarkeit grundsätzlich positiv!

Auch wenn ein Videoband äusserlich keine Alterungserscheinungen erkennen lässt, sollte es vor dem Digitalisieren durch eine Reinigungsmaschine (sog. Tape Evaluator) laufen, die zusätzlich zur Reinigung die Bandoberfläche glättet (dazu dient eine eingebaute Saphirklinge, die allerdings entgegen ihrer Bezeichnung nichts wegschabt, sondern das Band eigentlich mittels einer gerundeten Kante poliert). Entsprechende Geräte gibt es vom Hersteller RTI für die Formatfamilien U-matic, VHS und Betacam. Die Durchlaufzeit pro Band beträgt wenige Minuten; obwohl Reinigungsmaschinen in der Anschaffung fast das Preisniveau eines Kleinwagens erreichen, lohnt sich ein Blick auf offerierte Preise für die Reinigung.

Aus restaurierungsethischen Gründen ist die Signalintegrität zu wahren. Dies schliesst die Anwendung einer digitalen Maskierung oder Skalierung aus, mit der flatternde seitliche Ränder oder am unteren Bildrand sichtbare Kopfwechsel versteckt werden; dies gilt, obwohl diese früher durch die Gehäuseränder vor den Röhrenmonitoren weniger sichtbar waren. Die Signalintegrität verbietet auch ein De-Interlacing zwecks Umwandlung in Progressive Scanning. Hässliche, das Bild verunstaltende Kammstrukturen bei Bewegungen sind hier die Folge. Zu ihrer Dämpfung darf auch nicht die vertikale Auflösung halbiert werden, indem nur jedes zweite Halbbild berücksichtigt wird. Beim Digitalisieren ist die seitliche Bildlage so einzustellen, dass das (analoge) Bild stets genau im digitalen Fenster eingemittet wird. In zahlreichen analogen Produktionen kann die seitliche Lage auch von Szene zu Szene springen. Eine aufwändige Digitalisierung würde dem Rechnung tragen und die seitlichen Sprünge zu korrigieren versuchen, was allerdings mehrere Durchgänge erforderlich macht. Die Sprünge sind eindeutige technische Mängel aus der Produktion und in diesem Sinne zwar auch historisch bedingt, aber nicht unbedingt erhaltenswert!

Auch jegliches Beschneiden, Panning, Stauchen oder Dehnen zum Zwecke der Anpassung des alten 4:3-Seitenverhältnisses an das aktuelle 16:9-Format ist eine unzulässige Veränderung der Bilder. Die dunklen Balken auf den Schmalseiten des neuen Bildes sind zu akzeptieren, sie sind Zeugen des Kultur- und Technologiewandels, der nachvollziehbar bleiben muss. Dies gilt sowohl für die Digitalisierung als auch für jegliche Verwendungszwecke (Projektion, Ausstrahlung, Edition usw.). Der langfristig aufbewahrte Archivmaster soll nicht nur das originale Seitenverhältnis behalten, sondern auch die Anzahl Zeilen pro (Halb-)Bild. Ein direktes Hochrechnen würde die Signalintegrität verletzen. Entsprechendes gilt für die Anzahl Pixel von genuin digitalen Quellen bei deren Einlesen.

Zur Stabilisierung analoger Videobilder ist ein Time Base Corrector (TBC) in der Regel unerlässlich, weil zahlreiche Analog-/Digital-Wandler vorwiegend im professionellen Bereich unstabile Signale schlecht verarbeiten und z. B. Bilder auslassen oder blockieren. Für sehr alte Formate (Offenspulen) oder ohne Farbverriegelung editierte U-matic-Bänder der 1970er-Jahre kann die Verwendung von gleichzeitig zwei TBCs notwendig werden: einem alten, der mit den historischen Unstabilitäten (grösseren Toleranzen im Timing der Signale, Phasensprung im Farbhilfsträger) umgehen kann, sowie einem modernen, der das Farbsignal von Moirée-Störungen befreit und das eventuell immer noch zu unstabile Signal des historischen TBC den engen Toleranzen des Wandlers anpasst. Seitliche Verwellungen (Jitter), Schwankungen und weitere Instabilitäten aller Art können nach der Digitalisierung (streng genommen: bereits am Ausgang des TBC) nicht mehr korrigiert werden, weil sie Bildinhalt geworden sind, der mit neuen, stabilen Synchronsignalen unterlegt wurde. Der Wahl der richtigen TBCs kommt also eine eminent wichtige Bedeutung zu, die etwas Erfahrung und Erfahrungsaustausch erfordert. Die Verwendung eines passenden historischen TBC kann – abhängig vom zu stabilisierenden Signal – erforderlich sein, darf aber keinesfalls als Universalrezept missverstanden werden. Auch hier sind gewaltige technische Entwicklungen gemacht worden, die sich auf die Bildstruktur auswirken. Also nur so viel alt wie nötig, sonst so modern wie möglich.

Die Einstellmöglichkeiten des TBC (Helligkeit, Kontrast, Farbsättigung) sind mit Kenntnis und Bedacht zu verwenden. Es darf keinesfalls ein altes graues Bild mit schwachen Farben auf moderne Kontraste getrimmt werden, wie wir sie von digitalen Medien her kennen. Eine gute Kenntnis von Werken und Dokumenten aller Epochen elektronischer Bilder ist unerlässlich, um historisch adäquate Einstellungen vorzunehmen. Gemässigte Anpassungen an den technisch möglichen und üblicherweise auch auszufüllenden Kontrastumfang des Videokanals können allerdings sinnvoll sein. Dazu ist auf jeden Fall ein Waveform-Monitor notwendig, der das Videosignal visualisiert und die Fähigkeit hat, dieses Signal zu interpretieren. Bei Kontrast- und Helligkeitsanpassungen ist peinlich genau darauf zu achten, dass keine Teile des Signals beschnitten werden, insbesondere auch nicht Spitzlichter oder Rauschanteile in der Nähe des Schwarzwertes. Sie wären dann unwiederbringlich verloren, was auf keinen Fall zu tolerieren ist, auch wenn dabei die Bildwirkung vermeintlich besser wird. Für eine Anpassung, die eigentlich immer nur eine Verstärkung des Kontrastes sein kann – eine Verminderung ist nie sinnvoll –, spricht auch der Umstand, dass sehr bald auch alte Videobilder nur noch auf Flachbildschirmen bzw. in Projektion zu sehen sein werden und dass diese keine wirklichen Korrekturmöglichkeiten für Helligkeit und Kontrast mehr bieten wie die bisherigen Röhrenmonitore, die in einem relativ grosszügigen Rahmen noch an das vorzuführende Material angepasst werden konnten.

Diese Bemerkungen beziehen sich auf Videomaterial, das nicht mit professionellem Equipment und entsprechender (Studio-)Beleuchtung hergestellt wurde und dessen Signal von allem Anfang an nicht den Normwerten entsprach, die an sich über Jahrzehnte gegolten haben und die eine Vorführung auf einem modernen Display ohne weiteres möglich machen.

Wenn Anpassungen in Kontrast und Helligkeit gemacht werden, dann sollen sie behutsam und verantwortungsvoll erfolgen, ohne zwingend das technisch Mögliche auszureizen. Die Spuren fehlender technischer Perfektion bei der Entstehung sollen hier nicht verwischt werden – sie gehören zum historischen Gehalt der Quelle. Anhand von Beispielen sollen sie auch hinreichend dokumentiert werden (Bildschirmaufnahmen des Waveform-Monitors mit und ohne Korrektur, Videofile mit kurzen Ausschnitten mit und ohne Korrektur; Zahlenwerte abzuschreiben von Einstellknöpfen, ist hingegen sinnlos). Werden keine Signalanteile abgeschnitten, so könnten diese Massnahmen aufgrund der Dokumentationen auch wieder rückgängig gemacht werden.

Hat ein Abspielgerät einen eingebauten TBC und ist dieser überbrückbar, so sind beide Varianten miteinander zu vergleichen: eingebauter oder externer TBC. Hat der eingebaute TBC zusätzlich eine Rauschminderungsmöglichkeit, so ist auch diese mit einer externen kritisch zu vergleichen.

Seit es die Möglichkeit der Rauschverminderung im Videobereich gibt, wird sie kontrovers diskutiert. Im Audiobereich ist es längst gängige Praxis, bei der Digitalisierung keinerlei Filter anzuwenden, sondern diese nachträglich, je nach Zweck, einzusetzen. Im Videobereich waren bisher der Speicherplatz zu teuer und der Aufwand zu gross, um ein Rohdigitalisat ohne Rauschminderung zu erstellen, mit der Option einer nachträglichen Bearbeitung. Gegen die Rauschverminderung spricht die Maxime der Signalintegrität – denn jegliche Verminderung des Bildrauschens wird auch Bilddetails verändern oder abschwächen, die damit unwiederbringlich verloren sind. Für eine Rauschverminderung spricht die Tatsache, dass ein Teil des Rauschens bei den oft mehrfachen Kopierprozessen in der Geschichte eines Bandes entstanden ist und dass die Prozedur das Ergebnis an die ursprüngliche Erscheinung annähern will. Soll der Inhalt beispielsweise auf einer DVD mit ihrer starken Kompression verbreitet werden, so ist die Rauschverminderung sogar notwendig, damit keine hässlichen Kompressionsartefakte entstehen. Der hohe zeitliche Aufwand der Nachbearbeitung sowie die mindestens doppelten Speicherkosten erforderten bisher in der Regel einen Entscheid vor der Digitalisierung.

Falls eine Rauschverminderung vorgenommen wird, ist die Verwendung eines modernen, hochklassigen TBC zu empfehlen, der gleichzeitig auch die störenden Drop-outs relativ wirksam beseitigt. Mit der Umstellung des Fernsehens und der Industrie auf HD sind SD-Geräte regelmässig zu günstigen Preisen beschaffbar. Sie erlauben eine differenzierte Einstellung der Rauschminderung, die bei aller Verlockung moderat eingesetzt werden sollte.

Ist bei genügend vorhandenen Mitteln ein Rohdigitalisat vorgesehen, so kann das Rauschen nachträglich hardwareoder softwarebasiert vermindert werden. Das TBC-Modell TBS 180/185 von Snell & Wilcox hat digitale Ein- und Ausgänge, und seine Drop-out-Kompensation funktioniert auch mit einem bereits digitalisierten Signal ab Festplatte (selbstverständlich ausgespielt über die SDI-Verbindung), im Gegensatz zu allen älteren Drop-out-Kompensatoren, die nur ab analoger Quelle arbeiteten, und auch das meist nicht befriedigend! Mittels zwei Computern und je eines A/D-Wandlers könnte also eine perfekte Drop-out-Kompensation nachträglich und in Echtzeit erreicht werden ohne Wandlungsverluste (weil SDI), zu Kosten, die bei einem Bruchteil einer digitalen Videorestaurierungs- Software- und -Hardwarelösung liegen. Alternativ zu dieser zugegebenermassen unkonventionellen Lösung aufgrund knapper Mittel kann auch ein Plug-in zum Entrauschen für gängige Programme wie Premiere oder FinalCut, mit denen in der Regel ja digitalisiert wird, verwendet werden (z. B. Neat Video). Die Rechenzeit kann dann allerdings höher ausfallen und die Produktivität damit sinken. Ebenso scheint der Algorithmus für die Drop-out- Entfernung weniger leistungsfähig zu sein. Hinweis: die Drop-out-Entfernung ist an die Rauschminderung gekoppelt!

Bei dieser letztgenannten Vorgehensweise ist eine unkomprimierte Digitalisierung, zudem in 10 bit oder mehr, unerlässlich. Sie empfiehlt sich heute sowieso, weil vom (Roh-)Digitalisat, ob gefiltert oder nicht, in der Regel mehrere Derivate hergestellt werden: Archivfile, wenig komprimierte Handels- oder Vorführkopie, stärker komprimiertes Streamingformat für die hausinterne Verwendung oder die Distribution im Netz. Es ist ein geeigneter Workflow zu entwerfen, der die entsprechenden Derivate entweder zeitnah oder später erstellen lässt.

Der Entscheid, ob komprimierte oder unkomprimierte Dateien für die Archivierung hergestellt werden, ist abhängig vom Kontext (u. a. Menge und Stellenwert, zur Verfügung stehende Mittel), aber auch von der Ausgangsqualität des Materials. Allerdings genau andersherum als oft angenommen: Verrauschte Bilder machen jedem Kompressor zu schaffen, weil Rauschen eine unvorhersehbare «Information » ist, die Kompression aber auf vorhersehbaren und sich wiederholenden Bildstrukturen beruht. Ein stark rauschendes, verwackeltes VHS-Band erlaubt so paradoxerweise eine geringere Kompression als ein Betacam SP, das professionell beleuchtet und ab Stativ aufgenommen wurde (vorausgesetzt, ihr historischer Stellenwert ist aufgrund des Inhalts vergleichbar).

Beim Entscheid für oder gegen Kompression sollte unabhängig von den bereits genannten Aspekten auch die langfristige Sicherheit berücksichtigt werden, bei der eine unkomprimierte Datei besser abschneidet.

Formatempfehlungen für Videos

Für die Digitalisierung mit dem Ziel der digitalen Archivierung von Video hat sich weltweit kein einheitlicher Standard etabliert. Vielmehr sind sich Fachleute immer mehr einig, dass die Wahl von Codec, Container und technischen Parametern (Datenrate, Bildauflösung usw.) kontextabhängig (Erhaltungskonzept, Nutzungskonzept usw.) bleiben wird. Im Folgenden sollen daher verschiedene mögliche Kontexte mit konkreten Empfehlungen und Bemerkungen für die Formatwahl dargestellt werden. Es handelt sich um stark vereinfachte Szenarien, die in beliebiger Variation und Kombination auftreten können und nicht alle Möglichkeiten abdecken können. Sie sollen als Eckpunkte der Orientierung dienen. Es wird davon ausgegangen, dass ein Format gewählt werden muss, also weder ein bereits vorhandenes archiviert werden kann, noch bereits ein archivinterner Standard definiert ist.

Beispiel 1: Dokumentarischer Charakter

Ein Archiv will den rein dokumentarischen Inhalt einer grösseren Sammlung von VHS-, BetaSP- und MiniDV-Kassetten digitalisieren bzw. in Dateien umwandeln (lassen); die Ansprüche an die Erhaltung technischer und visueller Charakteristiken (z. B. Farbwiedergabe) sind verhältnismässig bescheiden, es geht primär um die Erhaltung des vermittelten Inhalts, nicht des visuellen Eindrucks. Auch ist nicht vorgesehen, die Videodokumente für neue Produktionen oder anspruchsvolle Ausstellungen zu verwenden. Ausserdem ist das Archiv nicht auf AV-Unterlagen spezialisiert und verfügt weder über spezia-lisiertes Personal noch besondere Infrastrukturen und finanzielle Mittel für die besonderen Ansprüche der digitalen Archivierung von AV-Unterlagen.

In einem solchen oder vergleichbaren Fall könnte die Digitalisierung in DV PAL und digitale Archivierung als DV-Dateien oder MXF-Dateien (DV-Datei plus Metadaten) als Kompromiss gewählt werden. Die Vorteile von DV sind die weite Verbreitung, von SMPTE standardisierte Spezifikationen, einfacher Umgang, der es dem nicht spezialisierten Archiv erlaubt, selber mit den Archivkopien umgehen zu können. Ausserdem erhält man verhältnismässig leichte Dateien, die Datenmenge ist für Video relativ gering (ca. 13 GB/Std.). Ein Entscheid zu diesem Kompromiss muss aber die Nachteile sehr bewusst erwägen und archivethisch rechtfertigen: DV arbeitet mit einer starken Kompression, welche zu Informationsverlusten führt und – je nach Zustand der Originale – schon bei der Digitalisierung Artefakte produziert, die mit überliefert werden, was in künftigen Migrationen möglicherweise noch zusätzliche Artefakte verursachen wird.

Beispiel 2: Kompromisslose Lösung

Als zweiten Fall kann die Archivierung z. B. von Videokunst skizziert werden. Unabhängig vom originalen Trägermedium sollen die Werke ohne jeden Verlust langfristig erhalten werden. Es handelt sich nicht um riesige Mengen an Werken, aber deren absolut werkgetreue Wiedergabe (insbesondere die audiovisuelle Erscheinung) hat oberste Priorität, weshalb Abtastrate, Bildwiederholfrequenz, Farbsampling, Scanning Methode (interlaced oder progressiv) dem Original entsprechen sollen.

In diesem Fall können 8- oder 10bit-4:2:2-uncompressed (v210) oder 10bit-4:4:4-uncompressed (v410, für HD) als Codecs empfohlen werden, je nach vorhandener/geplanter Infrastruktur in Containern wie MXF, MKV oder MOV. Dabei wird die Datenmenge verhältnismässig gross (100–780 GB/h) und die erheblichen Datenhaltungskosten müssen sehr gut geplant werden. Man hat es dagegen mit fertig entwickelten, etablierten Standards zu tun, die technisch verhältnismässig einfach und wenig anspruchsvoll sind.

Beispiel 3: Progressiver Kompromiss

In einem dritten Fall will ein Archiv auf DigiBeta oder HDCam vorliegende Videoaufnahmen migrieren und Dateien für die Archivierung herstellen (lassen). Die Ansprüche an die Videodateien sind etwas höher, Informations- und Bildqualitätsverluste der qualitativ sehr guten Aufnahmen sollen vermieden werden, um künftige Nutzungsmöglichkeiten nicht einzuschränken. Die finanziellen Mittel für die digitale Archivierung sind aber sehr begrenzt und erfordern eine Lösung, bei der die Datenmenge ein sehr kritischer Faktor ist.

In diesem Fall könnten verlustfrei komprimierende Codecs wie FFV1 (Version 3) oder MJ2K (lossless) empfohlen werden, mit denen die Datenmenge auf ein Drittel des ursprünglichen Umfangs reduziert werden kann, ohne Informationen zu verlieren (ca. 30–50 GB/h). Man muss sich bei der Wahl dieses progressiven Kompromisses bewusst sein, dass diese Codecs im Moment noch verhältnismässig viel spezialisiertes Wissen (Open-Source-Software) und für MJ2K viel Rechenleistung erfordern und deren Entwicklung noch in Gang ist; es muss daher für einen solchen Entscheid gewährleistet sein, dass entweder spezialisiertes Personal vorhanden ist oder/und ein sehr gutes Verhältnis zum/r externen Anbieter/in etabliert ist.

Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann man FFV1 beispielsweise in einem MKV-Container heute empfehlen. MJ2K in MXF kann empfohlen werden, falls die nötige Infrastruktur (sehr leistungsfähige Soft- und Hardware) vorhanden ist.

Empfehlungen für Benutzungskopien (Film und Video)

In den vorangehenden Kapiteln sind die Empfehlungen für Archivkopien von Filmen und Videos angegeben. Für Benutzungskopien gelten andere Ansprüche als an Archivkopien. Entsprechend der grossen Vielfalt an Benutzungsweisen und technischen Möglichkeiten gibt es sehr viele unterschiedliche Lösungen. Daher werden im folgenden eher Minimalansprüche aufgezeigt als Empfehlungen gemacht.

Für den Vertrieb und die Vorführung in Kinos, die Ausstrahlung im Fernsehen, Projektionen oder die Konsultation (Streaming, Download) via Web sind sehr unterschiedliche Formate in sehr unterschiedlicher Qualität ideal; es sollte eine Lösung (Dateiformat, Codec, Auflösung, Seitenverhältnis, Datenträger) gewählt werden, welche den spezifischen Ansprüchen genügt und die gut zur vorhandenen Infrastruktur passt.

Mindestansprüche an ein Benutzungsformat sind:

  • korrekte Abspielgeschwindigkeit

  • korrektes Bildverhältnis

  • Synchronität von Bild und Ton gemäss Quelldatei

  • dem vorgesehenen Kontext genügende Auflösung (je nach Grösse der Sichtung und Relevanz von Details)

Im Moment sind DVDs noch sehr verbreitet als Träger für Benutzungskopien. Es zeichnet sich aber klar ab, dass deren Zeit bald abgelaufen ist (Verkaufszahlen gehen dramatisch zurück, neue Computer verfügen standardmässig über keine Schreib-/Lesegeräte mehr).

Als konkretes Beispiel können die Anforderungen der Memobase für das Streaming Format von Videodokumenten genannt werden. Memobase funktioniert optimal mit:

  • Format MPEG-4 («moov»-Atom an Anfang der Datei setzen, um den Schnellstart und das Vorspringen über den bereits geladenen Bereich hinaus im Video zu ermöglichen)

  • Video Codec H.264 (avc1)

  • Audio Codec AAC

  • Datenrate zwischen 500 Kb/s und 2Mb/s

  • Auflösung zwischen 360 p (16:9) und 480 p (4:3) (Die Breite des Playerfensters in Memobase beträgt 640 Pixel. Grösser oder kleiner aufgelöste Bilder werden automatisch skaliert. Der anwählbare Vollbildmodus skaliert die Bilder entsprechend der Auflösung des Monitors/Displays/Projektors.)

Codecs und Transcodierungen

Transcodierungen (Codecumwandlungen) werden im Produktionsablauf eines Videos vorgenommen, um das Dateiformat den Anforderungen des jeweiligen Arbeitsschritts anzupassen. Für die Archivierung gelten Anforderungen, die sich meist nicht mit denjenigen der vorausgegangenen Schritte der Produktion decken. Die Produktion eines audiovisuellen Dokuments liefert also nicht automatisch archivtaugliche Dateien und deren Übernahme kann Transcodierungen erforderlich machen.

Grundsätze der Transcodierung

Codecs haben je nach Kompressionsverfahren bestimmte Eigenschaften, die für bestimmte Anwendungsgebiete optimiert sind. Da unkomprimierte Videodateien sehr grosse Datenmengen ergeben, ist deren Reduktion durch Kompression ein wichtiges Anliegen, das Kompromisse in Bezug auf die Qualität begründet. Die grössten Kompromisse werden jeweils dort gemacht, wo sie je nach Anwendungsgebiet am wenigsten stören. Bei einer Transcodierung von einem Codec in einen andern kann sich die Kombination der verschiedenen Kompressionsverfahren negativ auf die Daten auswirken. Auch bei gleich bleibender Dateigrösse kann durch die Transcodierung Bildinformation verloren gehen, wenn Codecs unterschiedliche Verfahren der Datenreduktion anwenden. Abb. 2 zeigt die Abstrahierte Darstellung der Qualitätsprobleme, die durch Transcodierung von Bildern entstehen können. Die Annahme, eine Transcodierung sei problemlos, wenn beide Codecs die Datenmasse ausgehend vom gleichen Original um etwa denselben Wert reduzieren, ist trügerisch. Die Anwendung der zwei Kompressionen in Kaskade führt zu einem drastischen Informationsverlust. Das resultierende Bild hat eine Informationsdichte von 25 % im Vergleich zum Original, da die Kompressionen unterschiedlich arbeiten und voneinander «nichts wissen». Das hat auch zur Konsequenz, dass die resultierende Dateigrösse nach der Transcodierung nicht 25 % des Originals sein wird, sondern 50 %. Das heisst man verliert durch die erneute Transcodierung Information ohne dadurch Speicherplatz einzusparen.

Abb 2. Kompressionsvarianten. Bild: D. Pfluger

Transcodierungen im Archivbereich dienen hauptsächlich dazu, nicht (mehr) archivtaugliche Originaldateien in archivtaugliche umzuwandeln. Je nach Erhaltungskonzept kann auch die Reduktion auf möglichst wenige Dateiformate ein Ziel von Transcodierungen sein. Ein Archiv kann aber auch mehrere Dateiformate für unterschiedlich prioritäre Klassen von Videodateien festlegen; Elemente höchster Priorität würden so z. B. unkomprimiert gespeichert und solche niedrigerer Priorität in einem platzsparenderen Dateiformat, das aber dennoch für die Archivierung tauglich ist. Transcodierungen können auch so lange hinausgeschoben werden, bis sie (z. B. wegen Obsoleszenz) unumgänglich werden, um unnötige Migrationen zu vermeiden; die letzte Option hängt stark von der systematischen und konsequenten Überwachung der technischen Entwicklungen ab.

Ein weiteres klassisches Beispiel der Transcodierung ist die Umwandlung zwischen PAL- und NTSC-Fernsehnormen. Dabei muss sehr viel geändert werden: DV PAL z. B. hat die Unterabtastung 4:2:0 mit einem Bild von 720 × 576 rechteckigen Pixeln im Seitenverhältnis 16:15, während DV NTSC die Unterabtastung 4:1:1 mit einem Bild von 720 × 480 rechteckigen Pixeln im Seitenverhältnis 8:9 hat.

Auch die Bildfrequenz (50 vs. 60 Halbbilder pro Sekunde) muss geändert sowie der Farbraum angepasst werden. Zusammenfassend gelten die im Folgenden angegebenen Empfehlungen.

Es sollten möglichst wenig Transcodierungen vorgenommen werden (lange Migrationszyklen), um möglichst wenig Probleme zu verursachen. Jedes Transcodieren kann Artefakte hervorrufen, die Problematik ist den Generationenproblemen aus dem analogen Videobereich ähnlich.

Transcodierungen sollten gut dokumentiert und in den Metadaten festgehalten werden, da diese Informationen bei späteren Transcodierungen zur Vermeidung oder zur Behebung von Problemen verwendet werden können. Bei der Übernahme von digitalen Elementen im Archiv ist die Vorgeschichte der Transcodierungen zumeist leider nicht nachvollziehbar. Grundsätzlich sollten in Gedächtnisinstitutionen keine Transcodierungen vorgenommen werden, welche die Datenmenge verlustbehaftet (lossy) reduzieren. Bei der Transcodierung in einen Codec mit verlustbehafteter Kompression gehen Informationen verloren, speziell wenn die Datenmenge dabei reduziert wird.

Auch bei der Transcodierung in einen gleichwertigen Codec ist Vorsicht geboten, denn selbst unter Beibehalt der Datenmenge können bei verlustbehafteten Codecs Informationsverluste entstehen, wenn sich die Kompressionsverfahren der Codecs schlecht vertragen.

Die Qualität bestehender Daten kann durch eine Transcodierung in einen Codec mit geringerer Kompression nicht verbessert werden, sie bleibt im besten Fall erhalten. Die Transcodierung in ein weniger stark komprimiertes Dateiformat, kann jedoch die Resultate künftiger Bearbeitungen verbessern und die Archivtauglichkeit erhöhen.

Auch das Hochskalieren von digitalen Bildern in eine höhere Auflösung ist eine Transcodierung. Hochskalierungen von SD- in HD-Auflösung werden im Videobereich oft vorgenommen und als unproblematisch wahrgenommen, da sozusagen nur die Bildfläche vergrössert wird. Es wird angenommen, dass die Bildstruktur erhalten oder sogar verbessert wird und keine Reduktion der Datenmenge stattfindet. Dies ist jedoch ein Trugschluss. Bei einer Hochskalierung ist jedes einzelne Pixel des Bildes betroffen und es werden faktisch Pixel «dazuerfunden». Es gibt unterschiedliche Algorithmen, deren Resultate sich beträchtlich unterscheiden (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Auswirkung von Bildskalierung. Bild: D. Pfluger

Speziell bei Videokunst muss es das Ziel sein, die Pixelstruktur des Originals durch alle Schritte der Konservierung zu erhalten, genauso wie man bemüht sein soll, die Präsentationsbedingungen eines Werks in einer Ausstellung möglichst originalgetreu zu gestalten.

Speziell problematisch sind Fälle, wo Bildmaterial in SD-Auflösung auf HD-Auflösung hochskaliert und dann so stark komprimiert wird, dass die HD-Datei kleiner als die ursprüngliche SD-Datei ist. In diesem Fall wird die Bildstruktur erst durch die Skalierung und dann noch einmal durch die Kompression massiv und unwiderruflich verändert.

Werkzeuge für Transcodierungen von Mediadateien

Diese Applikationen unterstützen Transcodierungen: MPEG Streamclip, ffmpeg, avconv, ffmbc

Letzte Anpassung: November 2019


Zurück zur Hauptübersicht
< vorherige Seitenächste Seite >




Suchen


Index



WordPress Themes