Als Video wird ein analoges oder digitales Signal mit audiovisuellem Inhalt bezeichnet, das von einem Abspielgerät bzw. einer Software interpretiert werden muss, um wiedergegeben werden zu können. In seinen Ursprüngen ist Video eng mit der Geschichte der Fernsehtechnik und der Magnetaufzeichnung verbunden. Seine typischen Eigenschaften sind die Aufzeichnung im Zeilensprungverfahren mit Halbbildern sowie die Möglichkeit der unmittelbaren Wiedergabe ohne Entwicklungsprozess.
Vor der Speicherung als trägerunabhängige Dateien wurde Video mittels einer Vielzahl unterschiedlicher Gerätekonstruktionen und -grössen aufgezeichnet, die mit Ausnahme der frühen Querspuraufzeichnung auf 2″ Magnetbändern alle das sog. Schrägspurverfahren anwenden, wobei sich die Spurlagen bei den Bandbreiten von ¼″ bis 1″ unterscheiden. Weit über 50 Videoformate mit fast ebenso vielen Konfektionierungen der Bänder als Offenspulen, Cartridges oder Kassetten sind so entstanden, die nur auf das entsprechende Aufnahme- bzw. Abspielgerät passten. Mit der technischen Weiterentwicklung haben sich sowohl das elektronische Format (z. B. Vollbild / Progressive Scan statt Halbbilder), das Seitenverhältnis (16:9 statt 4:3) als auch die Träger gewandelt (z. B. optische Datenträger); der grösste Wandel betrifft die Unabhängigkeit einer Videodatei von einem bestimmten Träger.
Nachdem Video in der ersten Phase seiner Entwicklung gleichbedeutend mit Fernsehen war, in der zweiten das Medium in Abgrenzung zu und Befreiung von demselben sowie gleichzeitig als minderwertiges Medium für (Kino-)Film betrachtet wurde, hat Video in seiner dritten Phase TV und Film eingenommen und repräsentiert das bewegte Bild schlechthin. In der heutigen vierten Phase ist Video omnipräsent, sowohl was die Produktion, den Vertrieb wie auch die Rezeption betrifft. In sämtlichen Phasen hat sich Video Eigenschaften angeeignet, welche für die Archivierung relevant sind und die mit der Digitalisierung des gesamten Lebenszyklus weiter akzentuiert wurden (Newman, 2014).
Die Bedeutung von «Video als TV» lag v. a. in seiner Funktion der Direktübertragung von Ereignissen für ein weit auseinanderliegendes, in verschiedenen Zeitzonen ansässiges Publikum, also der Überwindung von Zeit und Raum. Diente das Broadcast Video (2-Zoll-MAZ) zunächst dazu, die Illusion der Direktübertragung zur gleichen lokalen Hauptsendezeit zu unterstützen, wurde umgekehrt Consumer Video bald schon genutzt, um sich individuell vom TV-Programm zeitlich loszukoppeln, indem Sendungen auf Video(-kassetten) aufgenommen wurden. Diese befreiende Funktion als Aufnahme- statt Übertragungsmedium bereitete den Weg für die breitere Nutzung von Video in Werbung, Schulung, Unterricht, Medizin, Forschung etc. Aus all diesen Genres finden sich heute Videos in den Beständen und Sammlungen von Gedächtnisinstitutionen.
Seit Ende der 1960er Jahre fand ausgehend von ersten portablen Videodispositiven («Portapak») über Camcorder (ab 1980er Jahre) bis hin zum heutigen Smartphone mit Videokamera eine Massenverbreitung statt. Die «Demokratisierung» von Video betraf zunächst die Produktion, seit den 1980er Jahre aber auch die massenmediale Verbreitung, zunächst wieder via TV, seit ca. 10 Jahren via Webplattformen wie Youtube. Letztere haben durch die Verschmelzung von Produktion, massenmedialer Verbreitung und Rezeption wie alle früheren technischen Erneuerungen ganz neue Verwendungsweisen hervorgerufen.
Die Massenverbreitung von Video verstärkte eine für die Archivierung relevante Eigenschaft von Video, welche diesem seit jeher zugeschrieben wird: die authentische, quasi unverfälschte Wiedergabe der Realität. Die typische Bildqualität von Amateurvideoaufnahmen wurde dabei zur ästhetischen Chiffre für Realismus und Evidenz. Die Kombination von Massenverbreitung und Authentizität entwickelte zudem einen erheblichen politischen, medialen und gesellschaftlichen Einfluss: Massenmedial verbreitete Aufnahmen von Augenzeugen können je nach Inhalt (z. B. Polizeigewalt) heftige Reaktionen auslösen, Bürgerrechtsbewegungen setzen Video ebenso wie Behörden zur Dokumentation und Propaganda ein, Terrororganisationen verwenden Video für die Verbreitung von Schrecken oder Tribunale als Beweismittel. Ermöglichend und prägend zugleich war die Einführung von mit Kameras ausgerüsteten Mobiltelefonen sowie andere miniaturisierte Kameras. Mit zunehmender Vereinfachung von Produktion und Verbreitung bei gleichzeitig steigender Komplexität der Produkte wird die Überlieferung des Entstehungs- und Überlieferungskontexts als zentrale archivische Kriterien für Authentizität und Evidenz(wert) immer schwieriger. Neuere technische Mittel wie Virtual bzw. Augmented Reality, Bildbearbeitung sowie weitere Bearbeitungsmöglichkeiten mittels künstlicher Intelligenz lassen für die Zukunft weitere sehr interessante archivische Herausforderungen erwarten.
Gedächtnisinstitutionen sind heute eingebettet in zwei höchst dynamische und globale Trends: die Omnipräsenz von Video (im Web) sowie die Digitalisierung und Aufbereitung von digital(isiert)em Kulturgut für die Online Nutzung. Dies hat fachliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Konsequenzen, die auch grossen Einfluss auf verschiedene Funktionen und Kernkompetenzen von Gedächtnisinstitutionen haben. So stellen sich Erhaltungsfragen neu und akuter, die Workflows aus der Zeit des analogen bzw. physischen Videos müssen von der Akquisition über die Erschliessung, Bewertung und (Speicher-)Infrastrukturen bis zur Benutzung an diese neuen Voraussetzungen angepasst werden. Gedächtnisinstitutionen kommen nicht umhin, angesichts dieser neuen Möglichkeiten und Herausforderungen eine aktuelle Strategie zu entwickeln und herkömmliche Methoden zu ergänzen.
Bibliografie
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Newman, Michael Z.: Video Revolutions: On the History of a Medium, Columbia University Press, 2014.
Letzte Anpassung: November 2019