Graphic Recording des Memoriav Kolloquium 2018 von pikka.com.
Der Austragungsort des diesjährigen Memoriav Kolloquiums war nicht nur sehr geeignet für die Veranstaltung, sondern auch symbolträchtig was das behandelte Thema angeht. Als politisch umstrittenes Objekt der laufenden Umstrukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks manifestiert sich an diesem Ort ein sehr vielschichtiger Wandel. Veränderte politische, gesellschaftliche, mediale, finanzielle und technische Voraussetzungen haben nicht nur einen Einfluss auf die Produktion, sondern betreffen vielmehr den gesamten Lebenszyklus des Rundfunks von der Produktion bis zur Archivierung und Wiederverwendung. Diese Veränderungen waren daher auch der Anlass für die Wahl dieses Kolloquiumsthema.
Offizielle Grussworte im Rahmen der Eröffnung eignen sich bekanntlich bestens für grosse Ankündigungen bzw. Visionen. Nachdem die Direktorin von Memoriav, Cécile Vilas, die Rundfunkarchivierung in den Kontext der Erhaltung des Kulturerbes gestellt hatte, warb der Direktor von Radio Télévision Suisse (RTS), Pascal Crittin, für die Idee einer «INA Suisse», einer nationalen Initiative für Archive. Bernard Maissen, Vizedirektor des Bundesamtes für Kommunikation (BAKOM), bezog in seinen eröffnenden Worten in solcherlei Überlegungen den Privatrundfunk mit ein, für dessen Archivierung das BAKOM Mittel bereitstellt.
Im ersten Programmteil mit internationalen Gästen wurden der Wandel und die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der Rundfunkarchivierung in Deutschland, Schweden, Holland sowie Belgien bzw. Flandern und der Schweiz präsentiert und verglichen. Dieser Überblick liess unschwer erkennen, dass zwischen diesen Ländern sehr beträchtliche Unterschiede bezüglich politischen, rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Mitteln bestehen. Bemerkenswert war auch die grosse Spanne zwischen nicht (mehr) zeitgemässen Ressourcen und rechtlichen Grundlagen einerseits und die überwältigenden Potentiale beherzt und solide ausgestatteter Modelle andererseits.
Der zweite Programmteil bestand aus dem «Replay-Basar» mit neun Ständen, an welchen aktuelle Projekte, Produkte, Erfahrungen etc. im Zusammenhang mit Rundfunkarchiven entdeckt werden konnten. Der Basar wurde mit einer «one-minute-madness-session» eröffnet, während welcher alle Beteiligten je 60 Sekunden Zeit hatten, ihren Stand zu «verkaufen». An den Ständen wurden mehrere Weltpremieren wie verschiedene Zugangs- und Vermittlungsplattformen präsentiert. Einer Zeitreise gleich konnte man im Gespräch mit den Verantwortlichen für äusserst progressive technische Innovationen in die Zukunft schauen sowie anhand ausgestellter historischer technischer Geräte mit kundiger Begleitung auf vergangene Produktionsumstände zurückblicken. Abgeschlossen wurde der «Replay-Basar» mit einem Live-Podcast, an dem die knackigsten Statements des Basars noch einmal Revue passieren konnten und in den gemeinsamen Kontext gestellt wurden.
Der letzte Programmteil war ein der akademischen Nutzung gewidmetes Podium, das mit einer Art Bilanz der Forschung auf der Grundlage von Rundfunkarchiven eröffnet wurde. Anschliessend hielten die Podiumsteilnehmer Pecha Kucha Präsentationen zu ihren eigenen Erfahrungen und Projekte, bevor sie sich zusammen mit dem Publikum über Möglichkeiten, Hürden und Potentiale der Forschung austauschten. Haupterkenntnis hier war der Bedarf einer umfassenden Klärung der Quellenlage.
Nach dem offizielllen Programm gab in Partnernschaft mit dem Berner Kino Rex zudem noch die Gelegenheit den Essayfilm Televisionen – Wie aus Menschen Stereotypen werden (2018) zu Entdecken. Der Film von Luca Ribler und Fabian Kaiser ist ausschliesslich mit Archivmaterial des Schweizer Fernsehens entstanden und thematisiert die verschiedenen Stereotypen, die zum Thema Ausländer seit 1953 im Rahmen von Fernsehbeiträgen enstanden sind.
Insgesamt darf das Kolloquium als Erfolg gewertet werden, sowohl was die inhaltliche Relevanz wie auch die neu ausprobierten Formen der Veranstaltung angeht; zu letzterem ist auch das Graphic Recording zu erwähnen, das grossen Anklang fand und als Ergebnis eine sehr ansprechende visuelle Zusammenfassung der Veranstaltung hervorgebracht hat. Das übergeordnete Ziel des Zusammenbringens der Akteure aus Produktion, Erhaltung und Nutzung wurde insbesondere durch die Partnerschaft mit der SRG SSR erreicht, wenn auch eine regere Beteiligung insbesondere der privaten Rundfunkveranstalter sowie der Gedächtnisinstitutionen wünschbar gewesen wäre. Diesbezüglich wurde die nützliche Erkenntnis gewonnen, dass noch Sensibilisierungsarbeit erforderlich sein wird, um den Rundfunk insgesamt, öffentlich-rechtlich wie privat, als Kulturgut in interdisziplinärer und organisationsübergreifender Zusammenarbeit zu erhalten. Ob es dafür eine schweizerische «INA» braucht und wie eine solche umsetzbar wäre oder auch wie weit Memoriav als solches im Kern eine solche darstellt, bleibt eine interessante Frage. Klar ist aber, dass eine geteilte Vision der Bedeutung von Rundfunkarchiven und der Rollen der verschiedenen Akteure nötig ist. Der für die Entwicklung einer solchen Vision erforderliche Dialog wurde am Kolloquium aufgenommen und zahlreiche Beispiele sowie Ansätze stehen als Ausgangspunkt für eine Fortsetzung bereit.
Auf dem Weg zur Soirée im Bundeshaus gab es auf der Kleinen Schanze noch einen kleinen audiovisuellen Imbiss.
Replay-Bazar ein Live-Podcast von This Wachter
Produktion: Audio Story Lab (www.audiostorylab.com), Bern 25.10.2018. Musik: Blue Dot Sessions.