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2.1 Fotografische Bestände und Gedächtnisinstitutionen in der Schweiz

2.1 Fotografische Bestände und Gedächtnisinstitutionen in der Schweiz

Geht es darum, fotografische Bestände an eine öffentliche Institution zu vermitteln, kommen verschiedene Fragen ins Spiel, die zwischen der abgebenden Person oder Stelle und der Institution, die einen Bestand übernimmt, geklärt werden müssen. Was den Bestand betrifft, sind es Umfang, materielle Beschaffenheit, konservatorischer Zustand, Rechtslage und natürlich die inhaltlich thematische Ausrichtung und die ästhetische Qualität, die über die Überlieferungswürdigkeit entscheiden. Für die Institution sind es darüber hinaus verschiedene Bewertungskriterien, die für eine Übernahme ausschlaggebend sind. Dabei spielen einerseits personelle, räumliche und generell finanzielle Ressourcen eine Rolle, andererseits die Sammlungspolitik, die sich meist auf inhaltliche oder thematische Merkmale bezieht. In den letzten zehn, zwanzig Jahren ist die Bedeutung der Fotografie als Sammlungs- und auch als Forschungsgut markant gewachsen. Etliche Institutionen haben in diesem Zeitraum angefangen, Fotobestände zu übernehmen. Andere, die sich schon länger um Fotografienkümmern, haben ihre Aktivitäten verstärkt und tragen zu einer breit abgestützten Memokultur bei.

Sammlungslandschaft und Institutionstypen

Charakteristisch für fotografische Bestände ist, dass sie sozusagen überall anzutreffen sind. Nur eine verhältnismässig kleine Zahl befindet sich in spezialisierten Institutionen. Wie eine Studie vom Fotobüro Bern und Memoriav ergeben hat, befinden sich die mengenmässig meisten Fotos in Bibliotheken gefolgt von Archiven und Museen. Nicht zu unterschätzen sind Amts- und Dokumentationsstellen sowie private Trägerschaften ohne eindeutige Sammlungsrichtung. Betrachtet man weiter die topografische Streuung sowie die Zuordnung zu Wirkungs- und Zuständigkeitsebenen, fällt auf, dass nicht nur in den grösseren Städten unseres Landes Fotografien gesammelt werden, sondern auch in peripheren Ortschaften und Dörfern, wobei die betreffenden Trägerschaften lokal, regional, kantonal oder national abgestützt, verankert oder aktiv sein können. Dies führt zu einer Situation, die nur mit Mühe überblickbar ist und den Fotobeständen nebst Vor-auch Nachteile bringt. Je nach Institutionstyp stehen gemäss dessen Kerngeschäft und Betriebskultur bei der Aufarbeitung und später der Vermittlung andere Gesichtspunkte im Zentrum. Bibliotheken und Museen sind sich gewohnt, mit Einzelobjekten umzugehen, und haben oft Mühe, wenn Fotografien in Massen auftauchen. Dafür sind sie im Bereich der Vermittlung stark. Oft ziehen sie bei der Aufnahme eines Bestands bereits dessen Relevanz für ein mögliches Publikum in Betracht. Archive hingegen haben mit grossen Mengen an Fotografien dank ihrer Erschliessungsmethode, die auf Gruppen und Untergruppen abzielt, keine Mühe und sind auch gegenüber Konservierungsfragen auf lange Sicht sensibel. Dafür ist für sie eine aktive Vermittlung meist kein Kernthema. Zwar bieten viele Archive im Rahmen ihrer Online-Findmittel auch Bildmaterial an, meist sind diese aber umständlich und für Laien wenig benutzerfreundlich. Bezogen auf inhaltliche und ästhetische Kriterien betonen Archive den dokumentarischen Gehalt von Fotografien und deren Verwertbarkeit für die Überlieferung und die Forschung. Demgegenüber steht bei Museen der Aspekt der Gestaltung und der Ästhetik im Vordergrund. Bibliotheken vertreten in diesem Punkt eine sozusagen neutrale Haltung und bringen die beiden Aspekte meist in eine gute Balance. Amts- und Dokumentationsstellen nehmen innerhalb der Institutionstypen eine Sonderstellung ein. Für sie sind die Bildinhalte entscheidend, soweit sie für den Zweck der Stelle einen Gebrauchswert haben. Ob es sich dabei um eine Fotografie, eine Grafik oder gar ein anderes Medium handelt, ist in der Regel ebenso zweitrangig wie ein konservatorisch adäquater Umgang.

Wer ist für welche Bestände zuständig?

Noch vor zwanzig Jahren konnte es vorkommen, dass Fotoarchive bedenkenlos entsorgt wurden oder mittlerweile als national bedeutend eingestufte Bestände einen wahren Postenlauf durch die Institutionen antreten mussten, bis sie Unterschlupf fanden. Verbindliche Kriterien für eine Bewertung fotografischer Bestände gibt es zwar immer noch nicht, und eine Unterschutzstellung ist, anders als beispielsweise bei Kunst- und Kulturdenkmälern, nur in Ausnahmefällen möglich. Trotzdem hat sich eine Tradition zu etablieren begonnen, die einerseits auf den verstärkten Kontakten unter den Institutionen, andererseits auf der gesteigerten Sensibilität gegenüber der Bedeutung von Fotografien beruht. Dazu gehört auch, dass über Fragen der Bewertung in der Zwischenzeit offen diskutiert wird. Nach wie vor ist es aber so, dass über eine Übernahme eines Fotobestandes die aufnehmende Institution, ihr Profil und ihre Sammlungspolitik entscheiden. Nebst inhaltlichen Kriterien spielt zunehmend die Einschätzung eines Bestandes bezüglich einer lokalen, regionalen, kantonalen oder nationalen Erheblichkeit eine Rolle. Wobei anzufügen ist, dass aufgrund der Verhältnisse in der Schweiz und der Kulturhoheit der Kantone die Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht immer diesen Wertungsgrenzen folgen. In der Zwischenzeit sind es vor allem kantonale Institutionen, die eine wichtige Rolle beanspruchen und nicht nur fotografische Bestände aufnehmen, sondern zu eigentlichen Dreh- und Schaltstellen für die Erhaltung der Fotografie werden. In einigen Kantonen sind es die Staatsarchive, in anderen Bibliotheken und in vereinzelten Fällen auch Museen, die gleich in zwei Richtungen aktiv werden. Nicht selten übernehmen sie national bedeutende Konvolute und entlasten damit auf eidgenössischer Ebene aktive Institutionen. Zum anderen kümmern sie sich im Verband mit regionalen oder lokalen Einrichtungen und greifen ihnen wo nötig unter die Arme, sei es, dass sie Knowhow zur Verfügung stellen oder, wo die konservatorischen Voraussetzungen fehlen, Bestände als Deposita bei sich aufnehmen.

Wie findet man eine passende Institution für einen Bestand?

Sucht jemand in der Schweiz eine öffentliche Institution, um einen Fotobestand, welcher Art auch immer, unterzubringen, kann er auf ein dichtes Netz von Gedächtnisinstitutionen zählen. Dazu kommen Netzwerke, Spezialisten und Experten, die bei der Suche nach einer geeigneten Anlaufstelle behilflich sein können. Nebst einer ersten Bewertung und einer Einschätzung der Bedeutung eines Bestandes kommt es oft auch auf dessen inhaltliche Merkmale an. Häufig erkennen nur Fachleute spezifische Eigenheiten und können so abschätzen, wohin ein Konvolut am besten passt. Ein Beispiel dafür sind etwa Privat- oder Familienbestände, die ästhetisch auf den ersten Blick nicht besonders wertvoll erscheinen, die jedoch für spezialisierte Sammlungen zu einem bedeutenden Mosaikstein werden können. Je nach dem kann es im Sinn eines Lastenausgleichs sinnvoll sein, fotografische Bestände möglichst nahe an ihrem ursprünglichen Entstehungsort in einer Sammlung zu behalten, sofern nicht konservatorische Gründe dagegensprechen.

Rechte, Pflichten und die Frage der Entschädigung

Je nach Provenienz kann es bei der Übergabe eines Fotobestandes auch im finanziellen Sinn um eine Bewertung gehen. Fotografen oder Fotografinnen beispielsweise, deren Archive manchmal ganze Lebenswerke darstellen, geben ihre Fotografien ungern umsonst. Auf Seite der Institutionen steht solchen Ansprüchen der Aufwand gegenüber, zu dem sie sich mit der Übernahme verpflichten. Eine fachgerechte Aufarbeitung mit Erschliessung und Umlagerung in korrektes Hüllmaterial kostet beträchtliche Summen. Geht es weiter um die Langzeitarchivierung, ist diese im Fall von Fotografien mit klimatischen Massnahmen verbunden, die ebenfalls einen ausserordentlichen Aufwand bedeutet. Bleibt die Vermittlung an ein Publikum, was zunehmend in digitaler Form geschieht und in der Regel mehr kostet als Nutzungsgebühren oder Rechtsabgeltungen je wieder einbringen. Von daher willigen Institutionen in der Regel in eine Übernahme ein, wenn sie auch die damit verbundenen Urheberrechte zugesprochen erhalten. Für die weitere, allenfalls beschränkte Verwendung der Fotografien im privaten oder kulturellen Kontext durch die Urheber lässt sich meist eine praktikable Lösung finden.

  • Filzmaier, Birgit. Fotografische Sammlungen und Institutionen in der Schweiz -neue Entwicklungen. In: Fotografie in der Schweiz. Zeitschrift Fotogeschichte, Heft 90, Dezember 2003, S. 67–79.

  • Fotobüro Bern und Memoriav: Überblick über das fotografische Kulturerbe in der Schweiz. Bericht über den Umfang, den Zustand, die Erschliessung und die Bedeutung fotografischer Bestände in öffentlich zugänglichen Schweizer Institutionen, Bern 2014. Online, Stand: 22.2.2022

  • fotoCH: Dokumentation der Schweizer Fotografie. 1839 bis heute. Online, Stand: 22.2.2022

  • Henguely, Sylvie; Pfrunder, Peter. Europas Foto-Erbe I: Schweiz (Teil 1). Der Nebel lichtet sich. Fotosammlungen zwischen privater Initiative und öffentlichem Auftrag -kulturpolitische Perspektiven in der Fotolandschaft Schweiz. In: Rundbrief Fotografie, N.F. 37, Vol. 10, No. 1 / 15. März 2003, S. 5–12.

  • Henguely, Sylvie; Pfrunder, Peter. Europas Foto-Erbe I: Schweiz (Teil 2). Der Nebel lichtet sich. Fotosammlungen zwischen privater Initiative und öffentlichem Auftrag -kulturpolitische Perspektiven in der Fotolandschaft Schweiz. In: Rundbrief Fotografie, N.F. 38, Vol. 10, No. 2 / 15. Juni 2003, S. 6–9.

  • Memoriav: 67 Mio. Fotografische Zeugen unsere Geschichte, 2015. Online, Stand: 22.2.2022

  • Schürpf, Markus: Ein Kulturgut im Dilemma. Über die Situation historischer Fotografien im Kanton Bern. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 2003, 65. Jg., Heft 4, S. 151–201.

Letzte Anpassung: Oktober 2017


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